Das deutsche Kaiserreich in den Jahren 1913 und 1914 ist geprägt von strengen Sitten und religiösen Menschen, die Ehrgefühl und Keuschheit für besonders wichtige Ideale halten. Die Kinder werden mit strenger Hand erzogen und erfahren nicht selten psychische und physische Gewalt. Konkreter wird die Situation aus einem deutschen Dorf beschrieben, in dem sich auf einmal mysteriöse Vorfälle häufen: Der Dorfarzt (Rainer Bock) fällt vom Pferd aufgrund einer aufgespannten Schnur, bei einem Arbeitsunfall im Sägewerk stirbt eine Frau, zwei Kinder werden entführt und schwer misshandelt. Niemand weiß, wer hinter den Vorfällen steckt, doch der Dorflehrer (Christian Friedel) kommt der Auflösung immer näher - einer Auflösung, der man nicht gerne glaubt...
Michael Hanecke ist schon seit Jahren einer der wenigen deutschsprachigen Regisseure, die sich unliebsamen, ja wirklich dunklen und verstörenden Themen der menschlichen Psyche widmen. Einem breiteren Publikum wurde er durch den mittlerweile sogar in den USA neu aufgelegten Film "Funny Games" bekannt, wo Jugendliche vermeintlich aus Spaß eine Familie terrorisieren. Seit 2009 ist Haneckes Aushängeschild jedoch "Das weiße Band", mit einem Golden Globe und einer Oscarnominierung prämiert. Wie gewohnt präsentiert der Österreicher auch hier wieder vorrangig das Dunkle, Abgründige im Menschen, in diesem Fall betrifft es gleich ein gesamtes Dorf, in dem die wenigsten Figuren gut wegkommen.
Wer sich auf diesen Film einlassen möchte, sollte wissen, dass entgegen der Erwartungen, die man nun vielleicht aufgrund des vorangehenden Abschnitts haben könnte, der Streifen die meiste Zeit kein knallharter Psychothriller ist, sondern mit der Genrebezeichnung "Drama" schon richtig eingeordnet wird. Sehr viel Zeit wird mit Dialogen und Szenen aus dem Dorf- oder Familienleben zugebracht, weshalb es durchaus auch schon einmal Längen geben kann. Zudem werden jegliche Gewalttaten nur angedeutet, erzählt oder im Ausnahmefalls akustisch verbreitet, nie aber direkt gezeigt. Dies ist typisch für Hanecke, welcher große Inszenierungen von Gewalttaten ablehnt. Das Werk ist anspruchsvoll und benötigt in den 144 Minuten viel Aufmerksamkeit vom Betrachter, es ist demnach also beileibe keine leichte Kost.
Der Film ist komplett in Schwarz-Weiß gehalten, was das Erlebnis natürlich authentischer macht. Inhaltlich ist dieser Film sicherlich diskutabel, manchmal sind die Übergänge zwischen Faszination und aufkommender Langeweile beinahe fließend, es ist wohl von beidem etwas dabei. Hier wäre vielleicht eine Reduktion der Laufzeit zuträglich gewesen. Erzählt wird die Geschichte oftmals aus der Sicht des Lehrers, was gut gemacht und dem Handlungsverlauf förderlich ist. Das Ende enttäuscht jedoch wirklich etwas, wenn man sich zwei Stunden lang immer mehr auf das Geschehen einlässt und nun auch wirklich konkret wissen möchte, was genau nun passiert ist. Letztlich wird leider nicht genug aufgeklärt, denn die zahlreichen Mysterien schreien beim Zuschauer natürlich geradezu nach einer Aufklärung. Wer sich jedoch im Vorfeld bereits mit dem Macher vom weißen Band beschäftigte, den dürfte das Ende kaum verwundern.
So schwierig der Film in sich gestrickt ist, so einfach ist die Hauptmoral, die haften bleibt: Die strenge, teilweise arg überzogene Erziehung sowie die Gesamtsituation des damaligen Lebens rief eine Gesellschaft des Hasses und der Gewalt hervor, welche immer mehr das gesamtgesellschaftliche Klima in Richtung einer Radikalisierung lenkte. In diesem konkreten Fall könnte man vereinfacht sagen, dass die Kinder von 1913 die Nationalsozialisten von 1933 waren. Auch das titelgebende "weiße Band" ist als Zeichen der Unterdrückung und Demütigung junger Menschen zu verstehen, welches die aufstrebenden Gemüter zügeln und "gleichschalten" sollte, denn dieses Band legt der Pfarrer seinen Kindern monatelang um (nicht ohne zuvor eine für die Kinder regelrecht erniedrigende Rede zu halten), um sie an ihre Fehltaten zu erinnern.
Schauspielerisch ist der Film fantastisch, man sieht hier endlich einmal wieder, wie gut auch viele deutschsprachige Schauspieler sein können, wenn sie einen vernünftigen Stoff spielen dürfen. Gerade vor den zahlreichen Kindern und Jugendlichen, die das Werk mitprägen, kann man nur den Hut ziehen. Auch an weiteren optischen und akustischen Elementen gibt es nichts zu meckern. Letztlich sind nur die Längen und das schwache Ende wirkliche Kritikpunkte an diesem Film, die meines Erachtens aber durchaus sehr stark ins Gewicht fallen.