Eine 81-jährige Legende auf dem Regiestuhl zeigt es nochmals allen: Martin Scorsese’s bildgewaltiger 3 ½ Stunden-Mammutfilm mit seinem nur ¾ Jahre jüngeren Alltime-Star Robert de Niro ist episch wie eh und je und sowohl schauspielerisch wie auch dramaturgisch brilliant. Und es ist ein wichtiges Thema: Die eher unbekannten Morde an den Osage-Urweinwohnern bringen wieder mal Rassendiskriminierung und Unterdrückung in seiner subtilsten Art auf die Leinwand. Und mit realistischem Bezug: «Killers of the Flower Moon» basiert auf wahren Begebenheiten. Trotz der enorm langen Laufzeit verliert der Film nie an Intensität. Wir finden einmal mehr eine fantastische Ausstattung, mit einem atemberaubenden 20er Jahre-Setting, interessantem Score und packender Soundline sowie einer Geschichte über indigene Völker und deren Ausbeutung, die universell und mühelos in andere Epochen oder Gegenden verpflanzt werden kann. Geld, Macht und Gier bestimmen mal wieder die Motive bei Scorsese’s Protagonisten. Und nebst dem diabolisch-perfiden de Niro glänzt einmal mehr Leonardo Di Caprio in allen Facetten. Wie er seine Ambivalenz zwischen seinen kriminellen Taten und seiner wahren Liebe zu Mollie (auch sehr stark, mit viel Charme und tiefer Seele: Lily Gladstone) spielt, ist umwerfend! Das epische Filmausmass verleiht den menschlichen Abgründen eine Tiefe und Qualität, welche gefangen nimmt und den Zuschauer ohne Spannungsverlust über die Zeit trägt. Wie William „King“ Hale seinen Neffen Ernest Burkhart manipuliert und sich die Schlinge immer weiter zuzieht bzw. er sich im Sumpf verstrickt, das ist schlicht grosses Kino. Die Aufklärungsarbeit des jungen FBI (J. Edgar Hoover war ab 1924 Vorsitzender des Bureau of Investigation) ist am Schluss eigentlich nur noch Beigemüse, als der Fall schon lange klar ist (wie auch die Gerichtsverhandlung mit den beiden Leinwandgrössen Brandan Fraser und John Lithgow als Anwälte in Nebenrollen). Aber das schmälert nicht den Genuss. Das Ganze wirkt nie aufgesetzt oder effekthascherisch, sondern lebendig und realitätsnah. Man darf die Länge bemängeln (wie oft bei Scorsese), aber man muss sich auch bewusst darauf einlassen. Kürzungspotenzial ist da, aber das kostet «Killers of the Flower Moon» höchstens einen Stern. Die restlichen 5 sind wohlverdient. Allein schon der Geniestreich am Schluss, wo der Film als Liveaufnahme einer Radioshow mit pfiffiger Leichtigkeit nochmals zusammengefasst wird (mit Cameo von Scorsese himself), ist ein Schmankerl vom Feinsten.
Zuletzt editiert: 13.11.2023 19:19:00