«Zero would be nice».
Wow! Was für ein Film! Heavy! Eine äusserst intensive und anspruchsvolle Erfahrung. Der Film ist richtig harte Kost und hält einen praktisch die ganzen 3 Stunden lang unter Dauerstrom, ohne Erlösung. Die Schauplätze, Rückblenden und Dutzende von Protagonisten fordern die vollste Aufmerksamkeit. Nichts für einfache Geister, sondern intellektuelles Kino in Vollendung. Aus biografischer Sicht ist Nolan mit «Oppenheimer» ein beachtliches Manifest gelungen. Und auch ein philosophisches, denn es geht um die Feststellung: Selbst wenn die Menschen um die Konsequenzen ihrer Taten wissen, so tun sie es eben dennoch (auch eine klare Parallele zu KI in der heutigen Zeit). Wissenschaft & Fortschritt, Schuld & Sühne...
Schauspielerisch laufen alle zur Höchstform auf. Nolan’s ewiger Nebendarsteller Cillian Murphy kriegt hier die ganze Plattform und nutzt sie voll aus. Aber auch Robert Downey Jr. + Matt Damon sowie Emily Blunt gehen in ihren Rollen voll auf. Herrlich auch all die Physiker von Heisenberg (Matthias Schweighöfer) bis zu Niels Bohr (Kenneth Branagh). Gary Oldman als Präsident Harry S. Truman habe ich gar nicht erkannt. Der Film ist durch die Sprünge und die Figuren oft anstrengend und kompliziert, aber nie langweilig und schon gar nicht trivial. Die Biografie von Oppenheimer wird sehr detailgetreu auf die Leinwand adaptiert, oft krass den Tatsachen entsprechend, inklusive der hervorragend herausgearbeiteten Ambivalenz des «Vaters der Atombombe». Oppenheimer's ethisch-moralische Zerrissenheit im Wissen um die zerstörerische Kraft kommt in vielen Augenblicken extrem stark rüber (z.B. auch, als er beim US-Präsidenten vorspricht, das "Blut an seinen Händen" bemerkt, worauf ihn Truman als Heulsuse entlässt > krass!). Man muss sich in der Zeit zurückversetzen, an welchem Scheideweg sich die Welt 1945 befand.
Im letzten Drittel gewinnt alles ziemlich an Fahrt, mit sehr intensiven, aber clever-überraschenden Überblendungen, dies v.a. bei der eingebauten Verstrahlungsoptik beim Verhör oder im Vortragssaal im Plenum, bis zum nackten Oppenheimer auf dem Verhörstuhl. Die brilliante Musik des Schweden Ludwig Göransson tut das Seinige dazu. Highlight war für mich natürlich die erste Kernwaffenexplosion am 16.7.1945 in Los Alamos. Wie diese Minuten vor der Detonation um 5:29:45 Uhr gefilmt sind, ist absolut unglaublich! Man kann Nolan notabene wieder Überambition und Egomanie vorwerfen. Aber es ist nicht wegzudiskutieren, dass uns die reale Wissenschaft um die Atomspaltung im Spagat zwischen Ethik und Streben bis heute fordert – mehr denn je, wenn ich die heutigen Machtzentren der Welt betrachte. Dementsprechend ist es ein sehr zeitkritischer, topaktueller Film, mit Nachhall, und mit einer zwar langen, aber umso eindringlicheren und vielschichtigen Geschichtslektion. Vermutlich sogar Nolan's bester Film, da nicht fiktiv, sondern brutal realistisch. Die Wissenschaft selbst ist apokalyptisch genug!
«They won't fear it until they understand it. And they won't understand it until they've used it. Theory will take you only so far.»
Zuletzt editiert: 25.07.2023 13:02:00