Die Familie Coleman erwartet ihr drittes Kind, doch leider ist es eine Totgeburt. Mutter Kate (Vera Farmiga) kommt darüber lange Zeit nicht hinweg, sodass sie nach schauerlichen Alpträumen und dem Verfall in die Alkoholsucht gemeinsam mit ihrem Mann beschließt, ein Waisenkind zu adoptieren. Ihnen fällt sofort die anmutige Esther (Isabelle Fuhrman) auf, die sehr talentiert, eloquent und erwachsen ist und sich offen dazu bekennt, kein gesteigertes Interesse daran zu haben, "normal" zu sein. Doch schon bald beginnt die Fassade des freundlichen Mädchens zu bröckeln und immer mehr Familienmitgliedern fällt ihre dunkle, berechnende und manipulative Art auf. Lediglich Vater John (Peter Sarsgaard) glaubt weiterhin an die Unschuld Esthers. Doch auch er soll sich bald eines Besseren belehren.
Allzu alt ist dieser Film noch nicht, erst im Oktober 2009 lief der Film in den deutschen Kinos an. Und obwohl ich durchaus ein Fan von Horrorfilmen bin, ging er bislang komplett an mir vorbei. Glücklicherweise nur bislang, denn "Orphan" ist tatsächlich einer der stärksten Horrorfilme der letzten Jahre. Nach einer schockierenden Anfangsszene beaut sich die Geschichte die ersten rund 30 Minuten sehr behutsam auf, damit man die Charaktere näher kennenlernt und somit auch mit ihnen mitfühlen kann. Auch Esther führt sich zunächst recht harmonisch in die Familie ein, bevor sie immer mehr Konflikte schürt. Dies tut sie zunächst nur durch geschickte Aussagen und vermeintlich harmlosen Handlungen, mit denen sie sich Sohn Daniel (Jimmy Bennett) zum Feind macht und die beiden Eltern geschickt gegeneinander ausspielt.
Garant für das Gelingen des Films ist eine gute Hauptdarstellerin, die mit Isabelle Fuhrman wirklich ohne jeden Zweifel gefunden wurde. Das damals 13-jährige Mädchen pulverisiert den gesamten Cast zu nettem Beiwerk, in denen Farmiga und Aryana Engineer als taubstumme Schwester Maxine zwar einige gute Momente für sich beanspruchen können, letztlich aber schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwinden. Fuhrman schafft es, ihrer neunjährigen Rolle eine Authentizität zu verleihen, die diese Rolle eigentlich nicht hergibt. Um nicht zu viel vorwegzunehmen, kann ich nur so viel sagen: Es ist der Clou, den Zuschauer glauben zu lassen, dass Esther als Neunjährige wirklich so ist, wie sie 90 von 120 Minuten lang dargestellt wird, obwohl dies eigentlich völlig unmöglich ist. Diese Meisterleistung vollbringt sie, weshalb Fuhrman sicherlich eine größere Aufmerksamkeit verdient gehabt hätte. Die Mindestanforderungen einander völlig konträr laufender Charakterzüge sind ohnehin ein lächerlicher Klacks für sie.
Stilistisch bewegt sich dieser Film in der Horrorsparte realistischer Psychoschocker, er setzt also nicht auf Überirdisches oder mutierte Killerameisen. Zudem liegt das Hauptaugenmerk auch wirklich darauf, psychologischen Terror auf den Zuschauer auszuüben. Wenngleich es dem Film also nicht gelingt, ganz ohne Blut und Ekel aufzukommen, versucht er doch meist die wirksamste Methode anzuwenden, um zu gruseln: Durch gute Dramaturgie und Inszenierung ein ständig fortwährendes beklemmendes Gefühl auslösen, für mich die Königsklasse des Horrorgenres. Auch dies gelingt dem Team um Regisseur Jaume Collet-Serra ohne Probleme. Die Musik passt sich dem Geschehen gut an, bleibt jedoch nicht unbedingt in besonderem Maße haften, ich zumindest habe bereits das Meiste wieder vergessen. Die Kameraführung ist exzellent, optisch bewegt sich der Film auf einer sehr ästhetischen Ebene, was unter anderem durch die Hauptfigur zustande kommt. Immerhin werden wirklich wunderschöne Kunstwerke gezeigt (nein, damit sind nicht die süßen Strichmännchen von Maxine gemeint), Tschaikowski gespielt, einige dezent gehaltene religiöse Motive verwendet und ein vor allem zu Beginn interessantes Gesprächsniveau gehalten, das ich gerade gar nicht so recht zu beschreiben vermag. Dies ist vor allem im Vergleich zur Hochglanzoptik vieler entbehrlicher und uninspirierter Hollywood-Plastikproduktionen durchaus andersartig - auf positiver Art.
Ich alter Meckerfritze finde ja aber trotzdem so gut wie immer etwas zu Meckern, bei "Orphan" tue ich mich noch relativ leicht beim Finden der Schwachstellen: Eine davon ist Peter Sarsgaard, respektive seine Rolle als naiver Vater, die doch ziemlich blutleer ist (und auch so gespielt wird) und mit der Zeit doch immer unglaubwürdiger wird. Überdies hält man sich am Ende doch wieder an die Konventionen des Genres, sodass der Showdown, auf den natürlich alles hinarbeitet, nicht wirklich überraschen kann. Die Auflösung, was es mit Esther auf sich hat, ist noch gut gelöst und zudem wahnsinnig gut in Szene gesetzt, das eigentliche Finalduell ist hingegen Genrestandard und in ähnlicher Form schon oft gesehen worden. Einige kleinere Logiklöcher lasse ich dann mal außen vor, die beeinträchtigen den Genuss nicht wirklich. Insgesamt ist "Orphan" ein wirklich fieser Schocker, der einigen Menschen schlaflose Nächte bereiten kann. Wäre der Film 20 Minuten kürzer, würde er wirklich sehr, sehr weit oben mitspielen. So ist er ein überaus sehenswerter Film, der jedoch nicht in die Geschichte eingeht.